Instant Articles und Accelerated Mobile Pages
Als Weblogs ihre große Zeit hatten, ging es m.E. in erster Linie um eines: den Vorgang des Veröffentlichens von beliebigen Inhalten im Web zu vereinfachen. Aus dieser Idee entstand auch Antville.
Dann kamen die sozialen Netzwerke und Weblogs waren für sehr viele Nutzerinnen plötzlich irgendwie unbefriedigend.
Facebook, Twitter &co. stellten von nun an das soziale Profil der Nutzerinnen in den Mittelpunkt von Interaktion, nicht mehr das Schreiben von Beiträgen oder das Gestalten der sie umgebenen Website.
Nachvollziehbar, dass Weblog-Plattformen versuchten, diesem Trend zu folgen, und das Profil von Weblogs stärker über die individuellen Eigenschaften ihrer Betreiberinnen zu definieren – am auffälligsten z.B. durch die Einführung von Profilbildern (auch hier auf Antville.org).
Dennoch war und ist damit an der Dominanz der sozialen Netzwerke nicht zu rütteln, und so macht es möglicherweise Sinn, sich wieder auf die Kernkompetenz von Weblogs zu besinnen: Publishing.
Denn in einer vor ein paar Jahren wohl kaum absehbaren Wendung begann Facebook letztes Jahr damit, Verlagshäuser mit sog. »Instant Articles« zum Veröffentlichen ihrer Nachrichten auf Facebook selbst zu ködern. In der Zwischenzeit steht diese Technologie allen Nutzerinnen zur Verfügung.
Google (zwar keine große Leuchte in den sozialen Netzwerken, aber was bleibt dem Konzern übrig) wiederum präsentierte mit AMP, »Accelerated Mobile Pages«, ein ähnliches Konzept.
Das klingt verheißungsvoll und abschreckend zugleich: einerseits das Angebot, die enorme Reichweite sozialer Netzwerke zur Distribution eigener Veröffentlichungen nutzen – andererseits die Gefahr, sich den gefräßigen großen Plattformen auszuliefern, in deren Content-Silos genau diese eigenen Veröffentlichungen verschwinden, aus denen die eigene Zielgruppe ggf. nicht mehr herausfindet…
Ich habe mich letztlich aus folgenden Überlegungen und Beweggründen dazu entschlossen, den beiden genannten Technologien etwas mehr Zeit zu widmen:
- Die Technologien basieren auf dem offenen Web.
- Die Content-Silos bekommen Löcher.
- Web-Publishing braucht Innovation.
- Es ist keine Einbahnstraße.
Sowohl Instant Articles als auch AMP verwenden offene Standards, sie basieren auf HTML und RSS. (RSS! Das hätte ich 2014 auch nicht für möglich gehalten.)
Während ein Posting auf Facebook eine sehr eingeschränkte und reduzierte Struktur hat, erlauben beide Technologien umfangreichere Ausdrucksmöglichkeiten. Schon allein die Möglichkeit, Verlinkungen im Text einzubauen, gibt Webloggerinnen ein wenig Würde zurück.
Und wo Verlinkungen möglich sind, manifestiert sich immer auch die unbändige Kraft des Web: damit lassen sich Hierarchien unterwandern, damit können die Mauern der »Walled Gardens« Risse bekommen.
Es gibt auch eine technische Erklärung, warum diese Technologien reizvoll sind – das »mobile« in AMP deutet darauf hin.
Die Nutzung mobiler Browser wird weiterhin wachsen, trotzdem sind viele (Nachrichten-)Sites nicht dafür gewappnet. Abgesehen von der Gestaltung für kleine Bildschirme (hier hat Antville selbst leider noch große Defizite), ist auch oft die Geschwindigkeit, mit der mobile Websites geladen werden, ein Problem.
Durch die Begrenzung der verwendbaren Bestandteile der Beschreibungssprachen (HTML, CSS) auf das Nötigste und Sinnvollste (kein JavaScript), erlauben beide Technologien ein schnelleres Laden und Darstellen der Inhalte.
Es erinnert fast ein wenig an die Anstrengungen, die auch Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem Weblog-Boom einhergingen: eine Repräsentation von Information zu finden, die sich an die Zielgruppe wendet, und nicht die althergebrachten Bedürfnisse der Urheberinnen (damals ausschließlich Verlags- und Medienhäuser) befriedigt.
Klar, diese Begrenzungen sind nicht unproblematisch. Insbesondere, da sie z.T. intransparent bleiben müssen, geht es doch um die Vormachtstellung, wo welche Nachrichten häufiger und erfolgreicher publiziert werden.
Nichtsdestotrotz sind die meisten Spezifikationen öffentlich, und ich gehe davon aus, dass vorhandene Lücken noch gefüllt werden.
Das Wichtigste aber bleibt: die Inhalte entstehen auf dem Originalmedium, einer Nachrichtenseite oder einem Weblog. Facebook und Google (und wohl auch alle, die da noch folgen mögen) syndizieren diese Inhalte nur.
Was diese mögliche Transformation von sozialen Netzwerken zu sozialen Newsfeed-Readern mittelfristig bedeuten könnte, wird uns sicher noch auf spannende Weise beschäftigen.
Wie denken Sie darüber?
Lakritze
Ein wenig off-topic: Ich war zuerst auf "soziale[re]n" Plattformen und bin bei Antville gelandet, weil mich die Vernetzerei zunehmend genervt hat; hier schien mir das Bloggen aufs Wesentliche reduziert. Wer schreiben will und nicht viel mehr, ist hier so, wie's ist, allerbestens aufgehoben. Von meinen eigenen Vorlieben abgesehen, halte ich es für gut und absolut notwendig, das Filterbubbeln auf geschlossenen Plattformen zu unterwandern.
tobi Verwaltung
Das freut mich, dass Sie sich hier wohl fühlen. Und vielen Dank für die Rückmeldung, das bestärkt mich in meiner Wahrnehmung :)
tobi Verwaltung
Einen etwas weniger rosigen Ausblick auf die Zukunft des Hypertexts hat Hossein Derakhshan: »Facebook advocates bridges, but it has divided the world more than ever«.
StefanL
Ich halte natürlich IA und AMP genauso wie Apple News und das Google News Lab für ganz ganz böse Dinge. Sie untergraben ganz subtil das villeicht wichtigste Grundprinzip der Demokratie, nämlich eine sinnvolle Gewaltenteilung.
Und damit meine ich jetzt nicht, dass FB oder GOOG oder APPL oder gar mit ihrer Hilfe die NSA und das Government der US of A die Nutzer kontrollieren oder beherrschen möchte.
Dass viele Menschen heutzutage ihre privaten und öffentlichen Kommunikationen nicht (mehr) trennen mögen halte ich für verständlich, auch wenn es irgendwie einigermaßen gefährlich ist. So richtig haben sie noch nie getan, etwas mehr als heutzutage halt. Und dass die Medien, sobald ein einziges damit angefangen hat, auch überall dabei sein möchten, ist unvermeidlich.
Was am meisten die Aktivitäten von FP, GOOG und APPL bestimmt, ist ihre Konkurrenz untereinander und mit dem Rest der Werbeträgerwelt. Und da mögen sie halt gerne die Kundschaft an sich binden und möglichst niemals nie geistig wegzappen lassen.
Und weil sie gut sind, machen sie das subtil und verführerisch. Dass ihnen die Medien mit ihren falsch konstruierten Sites, schlechtem HTML und Tonnen von JS-Code so tolle Vorwände dafür liefern, ist traurig genug. Mobil optimierte Seiten von ORF.at werden aber z.B. "größer und schwerer", wenn man sie ampisiert. Das sollte schon mal einen Anhaltspunkt dafür geben, dass die Spec und die zugehörige "Beratung" auch anders ginge.
Differenziert wird da nicht. Wer nicht mitmacht wird subtil dabei bestraft, wie, wie oft, wo und wem der Plattform Owner die Infostückchen mundgerecht serviert. Man könnte jetzt sagen, die wollen ja nur, dass in ihren Malls halt auch Zeitungen und Fernseher herumliegen und -stehen und stellen dafür relativ vernünftige Bedingungen.
Aber, wenn letztlich kapitalisierte Firmen (auch nicht schlechter als viele Parteien) mit auch bei breiter Streuung relativ wenigen Shareholdern qua Anhängerschaft die formalen Restriktionen für Publikation auf ihrem Turf auch nur mit wenigen jederzeit veränderbaren proprietären Elementen und Strukturen versehen, und höchstens dritteltransparent durch ihre Algo-Maschinen filtern, dann ist die Branche der professionellen Informations- und Unterhaltungsproduzenten schön blöd, wenn sie da so mitmacht. Nur Taktik und keine Strategie. Aber so ist sie halt, die Medienbranche, sie unterwirft sich gerne. Früher dem König oder der Regierung, heute halt FB, GOOG und APPL.
Wie die Gesamtwirkungen im Kontext von antville sind, trau' ich mich jetzt nicht zur beurteilen, hier lebt ja niemand vom Schreiben, Fotografieren, Zeichnen u.a.m. RSS hin, HTML her, es sind die besonderen Beschränkungen und Erweiterungen, die die Kontrolle für die Plattformbetreiber konstituieren, nicht die Grundtechnologien. The ways of IBM and MS have long since been only a half life anymore.
tobi Verwaltung
Ich finde, das ist eine gute Analyse mit ganz vielen berechtigten Argumenten. Das mag ich, das hilft beim Weiterdenken.
Zu AMP (und auch einem Resumée) komm ich ja noch – so Murphy will –, aber eine technische Frage schon jetzt: kannst Du mir etwas genauer beschreiben, wie die ampisierten Seiten größer werden? Geht es da um Hybride, die auch außerhalb des Googleversums funktionieren?